Montag, 17. Mai 2010

Für die neue Woche 63: Orquesta Típica Víctor - Tu vida es mi vida

Diese Woche ging es einfach nicht eher. Es war zu viel Tango in all seiner Bandbreite am verlängerten Wochenende. Auf einer Autobahnfahrt hatte ich eine CD vom Orquesta Típica Víctor im CD-Spieler und der Instrumentaltitel Tu vida es mi vida von 1937 blieb mir wegen der eigentümlichen Dynamik im Gedächtnis. Nennt man das off beat?




Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine wundervolle Woche!

18 Anmerkung(en):

Raxie hat gesagt…

Off duty, lieber Cassiel. Hier wartet jeder gerne und jeder weiß, dass es gute Gründe hat, wenn wir nicht gleich Montagmorgen mit Dir die Woche beginnen. Wann immer Du mit uns die Woche beginnst, ist es genau richtig!

Lieben Gruß an Dich und möge die Bandbreite sich wieder schmälern...

Aurora hat gesagt…

Lieber Cassiel,
besser spät als nie!
Ein Wochengruss am Montagabend hat einen großen Vorteil:
Das Grauen eines Montagmorgens ist schon Überwunden ;-)
Und du hast recht, der Titel bleibt wegen seiner Dynamik (mir ist kein besseres Wort eingefallen) im Ohr. Ich mag ihn.
Auch dir einen guten Wochenstart!

lluvia hat gesagt…

Lieber Cassiel,

ich nehme deine Frage einfach mal zum Anlass, mich einzumischen :)
Ich würde am ehesten 'Agogik' dazu sagen, weil das Tempo ja eher "verzogen" ist. (off-beat passt für mich nicht richtig, weil mir dafür die Betonung an der off-beat-Stelle fehlt...)

Aber vor allem bei dieser Gelegenheit mal ein herzliches Dankeschön für den Blog! Sehr sehr toll!

cassiel hat gesagt…

Euch lieben Dank für die Anmerkungen.

@lluvia
Agogik kannte ich bis jetzt nicht - musste es erst einmal nachlesen. Das klingt passend. Vielen Dank!

Anonym hat gesagt…

Eigentlich ist diese alte Tangomusik nicht mein Ding. Ich habe hier aber gelernt, regelmäßig mitzuhören. Von diesem Stück bin ich schlichtweg begeistert und so etwas habe ich von einer zeitgenössischen Gruppe noch nie gehört.

Wie oben geschrieben, ein toller Blog. Danke!

Anonym hat gesagt…

Ich nehme jetzt mal den undankbaren Part auf mich zu sagen, daß mir die von Euch benannten Eigenheiten des Stückes allesamt nicht auffallen. Trotzdem freue ich mich auch über den Montagsgruß.

Anonym hat gesagt…

Achte doch mal auf die Sekunden 43 u. 44. Ähnliche Stellen gibt es noch mehr. Das meinen die (glaub ich jedenfalls)

bando hat gesagt…

mal vorausgesetzt, daß alle HörerInnen die gleichen Passagen meinen, dann handelt es sich weder um Agogik (das hat man, wenn das gesamte Ensemble bremst oder beschleunigt) noch um Off-Beat (den gibt's ständig in Einzelstimmen), sondern um Triolen, was bedeutet, dass 3 Noten auf einen Beat fallen, statt wie gewohnt 2 oder 4. Das reibt sich etwas mit dem Grundbeat und fällt deshalb auf. Besonders markant ist das bei Sekunde 0:43 und bei 2:30.

Evaristo hat gesagt…

muß mich mal zu Wort melden, auch auf die Gefahr hin daß Lluvia dann im Regen steht (kleines Wortspiel am Rande)

@cassiel
macht wirklich Spass in Deinem blog zu schmökern. Lose Gedanken auf den Punkt gebracht. Das ist schon beeindruckend wie Du und alle Mitwirkenden das so hinbekommen.

@lluvia
das Tempo ist nicht wirklich verzogen, es läuft durch wie ein Uhrwerk, nur der beat wechselt von drei auf zwei - für mich persönlich ein off-beat (bin aber kein Musikwissenschaftler)

@elbnymphe
dieser Tango "Tu vida es mi vida" von Orquesta Típica Victor fällt auf durch die überhäufigen off-beats - ich nenne sie uno-dos oder auch eins/zwei frei nach Gustavo Naveira.

Du hörst sie in diesem Tango ständig: Sekunden 06, 10, 25, 40, 46, 48,50 55 usw. (oder vielleicht jeweils eine Sekunde davor) .
Eine rhythmische Variation, die viele Komponisten benutzen um die Musik aufzupeppen.

Die andere wesentlich seltener zu hörende Variante ist der beat auf vier und eins.
Bei Sebastian Arce heißt das dann 'dschum-ba bzw. ba-dschumm respektive.

Wenn beide Tanzpartner das Stück und den Rhythmus kennen macht es sehr viel Spass, diesen off-beat zu tanzen. Wenns klappt ein echtes Highlight.

@bando
vielleicht sagt uns demnächst cassiel ob er tatsächlich doch die Triolen gemeint hat ..

@Anonym
du mußt dir unbedingt mehr alte Tangomusik anhören. Für mich die einzig wahre Musik zum Tanzen und auch Zuhören.

cassiel hat gesagt…

@all

Nur ganz kurz (muß gleich weiter): Ich freue mich, daß mal wieder ein Musikbeitrag kommentiert wird - auch wenn ich aufgrund der verschiedenen Fachbegriffe leicht überfordert bin. Ich werde mich wohl noch intensiver einlesen müssen.

Theresa hat gesagt…

Nachdem ich das Stück ungefähr 20mal gehört habe, um die Kommentare nachzuempfinden (ich glaube auch, dass der Witz die Triolen sind), hat es sich mir richtig als Ohrwurm festgesetzt. Ich besitze es schon lange, habe es aber noch nie aufgelegt. Das wird sich jetzt ändern. Danke dafür, Cassiel!
Theresa

cassiel hat gesagt…

@Theresa

;-)

Aber, liebe Theresa, Du sprichst da noch einen Punkt an, den ich für sehr wichtig halte: Wie entflieht man der Routine in den Hörgewohnheiten, wenn die Tangobibliothek bereits ein wenig größer geworden ist?

Das ist eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Ich für meinen Teil habe es so gelöst, daß ich zu Hause mit iTunes und sog. intelligenten Playlists arbeite. Eine intelligente Playlist ist eine dynamische Zusammenstellung von Titel aus der Bibliothek, die gewissen gemeinsamen Kriterien entsprechen. Ein Beispiel: Albuminterpret enthält "Canaro" Interpret enthält "Famá" Genre enthält "Vals". Die resultierende Liste stelle ich auf zufällige Reihenfolge und dann koche ich mir nebenbei beispielsweise ein paar Nudeln. Ich versuche in dieser Weise, jeden Tag eine halbe Stunde Tango zu hören.

Oder ich greife mir noch kurz vor der Abfahrt eine CD für das Auto. Das passiert intuitiv (wie am letzten Wochenende). Dann setze ich mich intensiv mit einer CD auseinander. Eine CD reicht für etwas mehr als 100km Bundesautobahn. ;-)

Vielleicht verraten hier ja noch andere Leserinnen und Leser ihre Tricks.

Allen wünsche ich schon jetzt ein wunderschönes Wochenende und erfüllte Tandas.

c.

Florian hat gesagt…

Das ist ja eine interessante Diskussion! Werde versuchen ein Paar Sachen aufzuklären:

Bando hat recht, dass bei Sekunde 0:43 und 2:30 Triolen sind, wie auch, ein bisschen weniger deutlich, z.B. bei 2:22.

Evaristo hört bei anderen Stellen 'off-beats'. Stimmt genauso. Auf Deutsch nennt man das Synkope. Biagi ist berühmt dafür, aber natürlich hört man es oft in Tango, und in vielen anderen Musikstilen.

Agogik, wie von Iluvia vorgeschlagen höre ich auch in diesem Tango. Dabei geht es um viel subtilere rythmische Variationen als Triole oder Synkope. Meistens ist es so gering, dass es unmöglich wäre es zu notieren. Ich glaube nicht, dass dafür das ganze Ensemble bremsen oder beschleunigen soll. Oft hört man genau den Gegenteil: die Bandoneons halten den Rythmus streng, und der Sänger 'schwebt' darüber. Ein sehr deutliches Beispiel davon ist Poema von Canaro. Wenn man genau zuhört wird man merken, dass jedes mal wenn die Melodie kommt es ein bisschen anderes gestalltet wird. Ich habe es aus Neugier mal probiert aufzuschreiben. Geht nicht...

Was ich hier oben beschreibe ist schon vom Vater von W.A. Mozart erklärt worden. In Tango hört man es jedoch viel öfter und vor allem extremer als in der heutigen Aufführungspraxis der klassischen Musik. Jazz-Musiker sind natürlich auch Meister dieser Art.

In "Tu vida es mi vida" ist die Agogik nicht so einfach zu hören. Beachte den ersten Einwurf vom Klavier bei 0:03 und verfolge dieses Motif in der ersten Hälfte des Tangos. Man hört z.B. bei 0:18, dass es ein ganz wenig später und schneller gespielt wird. Der Grundpuls ändert sich dabei jedoch nicht! Gerade diesen Aspekt von Tango finde ich so faszinierend, und gibt eine Art Elastizität im Puls, die mir bei modernerer Tangomusik fehlt. Auch wenn nicht jeder Agogik, Synkope usw. bewusst hören würde, bin ich mich ganz sicher dass es tortzdem eine große Einfluss hat in wie diese Musik empfunden wird.

So, das war jezt ein langer erster Blogpost... Vielen Dank für deinen wunderbaren Blog, Cassiel!


P.S. Entschuldige für die Schreibfehler. Deutsch ist nicht meine Muttersprache...

Tangosohle hat gesagt…

Hallo Florian,
herzlich willkommen in der Blog-welt. Das ist ja wirklich bewundernswert, wie du in aller Kürze ein paar Grundbegriffe der klassischen Musik mit Praxisbeispielen erklärst.
Möglicherweise liegt hier ja auch ein kleiner Teil der Erklärung der Geheimnisse des Tango: Dadurch dass die klassischen Werkzeuge (des Barock?) verwendet werden, kommen wir nicht mehr von ihm los.

cassiel hat gesagt…

@Florian

Vielen Dank für Deine Erläuterungen...

und...

mach' Dir doch bitte keine Gedanken wg. etwaiger Tippfehler; Ich bin muttersprachlich deutsch und mache noch viel mehr Fehler...

:-)))

Schöne Pfingsten allerseits.

c.

Raxie hat gesagt…

@Tangosohle

ich habe zum Geburtstag eine wunderbare CD geschenkt bekommen:

Antonio Vivaldi / Astor Piazzolla
Acht Jahreszeiten
Tianwa Yang / Violine

Zweimal "Vier Jahreszeiten": Vivaldi u Piazzolla - italienischer Barock und argentinischer Tango. Die Gegenüberstellung eröffnet neue Perspektiven und Horizonte und sorgt für überraschende Hörerlebnisse...

Ganz toll!

@Cassiel

genau richtig für eine Autofahrt von so ca 1 std...
:-)

lluvia hat gesagt…

@Evaristo
Uh, kalte Dusche! Aber eine Lluvia verträgt das schon ;)

Und Florian hält ja einen Regenschirm bereit. Ich meinte in der Tat die Art Agogik, die Florian angesprochen hat, also nicht den "Pugliesse-Effekt". Allerdings muss ich gestehen, dass mir beim morgendlichen Milchkaffee und "mal eben kurz Durchhören" entgangen ist, dass da eigentlich wohl "korrekte" Triolen notiert sind... (Nur, wenn bei Chopin die rechte Klavierhand 13tuolen oder sowas hat, ist es mir eigentlich auch schon egal, ob man das, was klingt, dann mit Agogik in Verbindung bringen darf, der Effekt ist ja sehr ähnlich)

Und noch eine Spezialfrage an Evaristo: Du scheinst dich ja gut mit der Begrifflichkeit der "Tango-Musiktheorie" auszukennen. Kann man das irgendwo nachlesen?

von mir auch schöne Pfingsten an alle! :-)

Theresa hat gesagt…

Danke, Florian u.a, für die interessante Diskussion!

Das ist für mich eine der wichtigsten Besonderheiten der Tango-Musik, dass Variationen drin sind, die nicht notiert werden (können) und die - neben dem Arrangement - auch den Sound eines Orchesters ausmachen. Ein Tango-Orchester ist kein Kammerorchester! Wenn die Geigen Tutti spielen, hört man trotzdem jede Geige heraus, jede spielt ein bisschen anders. Es wird nicht ein möglichst sauberer Klang gesucht. Es gibt den Spruch "Tango debe ser un poco sucio" - Tango muss ein bisschen "schmutzig" sein - der sich nicht nur auf die Musik, sondern auch auf den Tanz bezieht. Und der andere Spruch zur Jazzmusik "Expressivität geht vor Wohlklang" trifft auch auf den Tango zu.