Sonntag, 27. Dezember 2009

Tacheles mit Tangueras 2: Veronika "La potranca" Fischer, Augsburg - Teil A

In diesem Beitrag der Reihe „Tacheles mit Tangueras“ plaudere ich mit Veronika La potranca Fischer aus Augsburg. Sie ist ein Multitalent im Tango: Lehrerin, DJane, Video-Produzentin, Journalistin usw. Ihre Website ist mir vor Jahren schon aufgefallen. Nun haben wir es geschafft, uns auszutauschen. Am Dienstag vor Weihnachten entstand abends dieses Interview (wiederum schriftlich via Skype-TypoChat).



Teil 1 von 2

Cassiel: Hallo Veronika! Oder möchtest Du im Tango-Zusammenhang lieber mit La potranca angesprochen werden?

Veronika Fischer: Nein, Veronika ist völlig ok. La potranca, das war erstmal einfach ein Witz unter Freunden. Irgendwann oft und öfter wiederholt - und dann irgendwann ein Marketing-Gag, dabei ist's geblieben. Nett war, dass ich erst danach die eigentliche argentinische Bedeutung erfahren habe: la potranca ist nicht nur ein Fohlen (davon wusste ich), sondern auch eine ziemlich hübsche, eher etwas zwielichtige Frau. Blond, lange Beine, und so ;-)

Cassiel: Bist Du stolz, einen Tango-Namen zu haben?

Veronika Fischer: Stolz eigentlich nicht, nein - aber er erinnert mich an Menschen, mit denen mein Tango angefangen hat, an Freunde.

Cassiel: Hörst Du gerade Tango, wenn ja – welchen? Falls nein, welches Stück hast Du zuletzt gehört?

Veronika Fischer: Nein, gerade höre ich nichts - mir fällt es schwer, Tango einfach nur so zu "dudeln". Ich höre immer auf die Harmonie, oder versuche, den Text zu verstehen, oder herauszufinden, welches Instrument dominant ist, oder denke mir aus, wie ich darauf tanzen würde. Das lenkt dann doch ab.
Mein letzter Tango... traditionell gestern Abend, da hatte ich einen Schnupperkurs, und wir haben am Schluss zu A Evaristo Carriego getanzt, eines meiner Lieblingsstücke. Modern: heute im Radio, bei der Heimfahrt: Wire to wire von Razorlight. Mein momentanes Lieblingsstück, weil es unheimlich wechselvoll ist, und der Text mir sehr nah kommt. Würde man ihn auf Spanisch übersetzen, wäre es wohl ein typischer Tango-Text:
What is love but the strangest of feelings?
A sin you swallow for the rest of your life?
You've been looking for someone to believe in
To love you until your eyes run dry

Cassiel: A Evaristo Carriego? Pugliese, Color Tango, La Furca oder ...? (Das interessiert mich jetzt schon)

Veronika Fischer: Pugliese, wobei es eine echt tolle Version von Ryota Komatsu gibt. Weicher als Pugliese, weniger treibend, aber dafür wesentlich inniger.

Cassiel: Ich möchte Dir kurz Gelegenheit geben, zum Thema „Auflegen“ etwas von Deiner Sicht der Dinge zu schreiben. Nur weil ich das Thema vor Wochen mit Christian besprochen habe möchte ich natürlich nicht, daß wir es hier ausklammern. Gibt es da von Dir noch Anmerkungen?

Veronika Fischer: Zum Technischen hat Christian, denke ich, alles Wissenswerte aufgeführt - ich bewundere das. Ehrlich gesagt: da bin ich weniger akribisch, arbeite mit einem recht einfachen System (iTunes), höre nicht vor (weil ich mich vorbereite bzw. die Stücke gut kenne) und habe ansonsten Gottvertrauen in die Anlage und den Veranstalter, der sie bedienen kann ;-)
Inhaltlich kommt es auch sehr darauf an, wie jemand auflegt. Wichtig finde ich, den Spannungsbogen zu halten: nur dann können Tänzer anstrengungslos von 8-4h durchtanzen, und gehen beschwingt (und nicht etwa ermüdet) nach Hause.
Damit das gelingt, ist IMHO eine gute Mischung aus Bekanntem und Neuen nötig, dass sich Anfänger leicht reinfinden bzw. müde Tänzer auf Autopilot stellen können, die Guten oder Experimentierfreudigen sich aber nicht langweilen.
Aus meiner Sicht: 50% alternativ (electro und non-tango), 30% moderne orquestas, 20% traditionell ist der ideale Abend, aber das hängt natürlich wieder von den Tänzern (und dem Veranstalter) ab. Als DJ hat man ja nur das Sagen, wenn's um die eigene Milonga geht - und die werde ich mir erst im nächsten Winter schaffen bzw. wieder schaffen.

Cassiel: Dein DJ-Ratgeber bei tangokultur.info ist immer noch ein singuläres Highlight. Würdest Du ihn heute noch so schreiben?

Veronika Fischer: Ja, ich glaube schon - im Wesentlichen hat sich nicht viel geändert von dem, was ich den Leuten mitgeben will an "Einstiegshilfe." (a propos: den Text gibt’s inhaltlich ähnlich, aber etwas ausführlicher und in Deutsch und Englisch auch auf der Homepage, dort gelegentlich überarbeitet). Den eigenen Stil zu finden, ist wesentlich schwerer und natürlich bin ich da heute weiter als damals - aber den Weg kann ich niemandem abnehmen, jeder muss ihn selbst gehen.

Cassiel: Wir haben vorab einige Themen via eMail abgesteckt und Du hast geschrieben, daß Du einen betriebswirtschaftlichen Ansatz (so etwas wie einen Business-Plan) entwickelt hast. Magst Du etwas darüber erzählen?

Veronika Fischer: Mein Tango-Weg war ja nicht immer in Deutschland - was mir den Anfang als DJ und Lehrerin hier nicht eben erleichtert hat, weil ich den ganzen "Aufbau" (also Leute kennenlernen, sich präsentieren, Emails sammeln, ...) nicht geleistet hatte. Demzufolge habe ich mir einfach mal angeschaut, wie die anderen Tangoleute "ins Geschäft" einsteigen - und festgestellt, dass das meistens sehr intuitiv geschieht: man gibt mal hier einen Kurs, mal da, so ziemlich für jede Zielgruppe und Preisklasse, macht Milongas da und dort - ohne Konzept.
Mein Ansatz war (und ist), Tango professionell, d.h. wie ein ganz normales Geschäft zu betreiben: mir vorher zu überlegen, was ich eigentlich erreichen will und welchen Weg ich gehen muss, um es zu erreichen. Beispielshalber liegt mir viel daran, mit Menschen zu arbeiten. Das heißt, dass ich meine Schüler gerne persönlich kenne, dass ich den Ratsch zwischendrin genieße, dass ich auch da bin, wenn jemand über Nicht-Tango sprechen will (tatsächlich kommen im Tango ja oft auch Lebensthematiken hoch, die besprochen werden wollen). Als Folge bin ich nicht der Mensch, der dauerhaft Gruppenunterricht geben will und möglichst viele Leute durch seine Schule schleift - ich mache Einzelstunden mit den Leuten, die bereit sich, sich auf Tango (und mich) einzulassen, und mehr als nur Figuren durchkauen wollen.

Cassiel: Hmmm... ganz ehrlich? Das würden jetzt vermutlich 98% der Tango-Professionals oder Semi-Professionals so oder ähnlich formulieren... Was meinst Du mit Business-Plan?

Veronika Fischer: Ja? Ehrlich gesagt, sehe ich das zumindest in Deutschland und ganz sicher in München nicht. Und das ist (zumindest soweit ich es höre) auch das Feedback von Leuten, die mit Tango anfangen: irgendwie ist alles gleich, nur manches ist gleicher.
Ein Business-Plan ist einfach ein Denkmuster. Für das Jahr 2007 stand z.B. drin, dass ich eine eigene Milonga haben wollte, testweise - das habe ich geschafft. Für 2008 und 2009 gibt's Schüler- und Unterrichtszahlen, an die ich mich halten möchte. Und für 2010 gibt's - s.o. - weitere Pläne. Ich finde es einfach wichtig, Tango auch da auf ein Niveau der Professionalität zu heben: nachzudenken über das, was man tut, und warum man es wie tut.

Cassiel: Subventionierst Du Deinen Tango quer? (Also mit Einnahmen aus Deinem Beruf?)

Veronika Fischer: Nein, ich gebe für Tango (also Milongas, Reise nach Buenos Aires, Musik) nicht mehr aus, als ich einnehme. Trotzdem, würde ich eine Stunde mehr in meinem Hauptberuf arbeiten, käme natürlich wesentlich mehr raus, als ich mit Tango je einnehmen kann - die Opportunitätskosten sind schlicht und einfach hoch. . Andererseits gibt es mir viel, zu unterrichten, mit Menschen umzugehen, mit Musik zu spielen - das ist mit Geld nicht zu bemessen.

Cassiel: Wo bist Du mit Deinem Tango in zehn Jahren?

Veronika Fischer: Glücklich. Das ist eigentlich das, was ich sein möchte. Glücklich und in der Lage, das zu teilen. Ob ich jetzt auf drei Festivals mehr unterrichte oder auch noch Schuhe verkaufe, ist eigentlich Nebensache. ;-)

Cassiel: Vielleicht zum Abschluß dieses Themas: Welchen Rat würdest Du Tango-Profis geben, die gerade so rundum kommen? Wie kann man Tango professionalisieren? (Kosten minimieren, Einnahmen erhöhen, gutes Marketing? ...)

Veronika Fischer: Schwierig. Ich glaube, diese Tätigkeit wird einfach nicht angemessen entlohnt - insbesondere, wenn jemand nicht Argentinier ist. Das ist - obwohl oft ungerechtfertigt - DAS Marketing-Instrument, das bei den Tango-Schülern zieht. Wenn jemand wirklich davon leben will, dann kann es sinnvoll sein, sich vielfältig aufzustellen: Unterricht, DJ-ing, Artikel für die ein oder andere Zeitschrift, Milonga-Veranstaltung, Auftritte in tangofernen Bereichen und Schuh-/Klamottenverkauf. Nur: das geht halt auch nur dann, wenn dieses Konzept nicht auch jemand anders im Einzugsgebiet fährt.

Cassiel: Jetzt muss ich spontan einhaken - betrachten wir es doch einmal von der "Verbraucher"-Seite: was kostet der Tango im Monat? Oder besser: Was sollte er kosten?

Veronika Fischer: Das ist schwer absolut zu bemessen - aber im Vergleich, finde ich, kostet der Tango sehr wenig. Nimm mal als Beispiel die Disco Freitagabend: 10€ Eintritt, 1 Getränk 5€ (davon brauchst du mindestens 5). Tango: 7€ Eintritt, 1 Getränk 3€. Oder: eine Yoga-Stunde (Gruppenstunde, bis zu 20 Personen) 18 €, eine normale Tango-Stunde 10-15 € (je nach Kurs und Lehrer, keine Workshops). Insofern finde ich, dass wir im Vergleich zu anderen Aktivitäten durchaus ein billiges Freizeit-Leben haben.
Freilich, wenn du es auf den Monat rechnest - 3 Milongas pro Woche (also 12 im Monat), 4x Kurs, 30x Getränke, die Anfahrt... das läppert sich zusammen. Aber irgendwie würde man ja seine Freizeit auch anders verbringen müssen und dafür zahlen - und ob ein Fernseher, Bücher, Kino-Besuche und Kneipen-Abende mit Freunden billiger wären, wage ich zu bezweifeln. Besser sowieso nicht ;-)

Cassiel: OK! Jetzt einmal Tacheles (wie der Serien-Titel schon sagt): Ich sehe drei Gruppen auf der „Anbieter“-Seite:
  1. Die Enthusiasten (die machen es aus Liebe zur Sache)
  2. Die Profis (ich kenne zumindest keinen, der reich geworden ist) und
  3. Die Tangogewinnler (Ein wenig Unterricht, regelmäßige Einzelstunden - alles BAT (bar auf Tatze) - die machen es den Profis schwer).
Gibt es Wege aus dem Dilemma?

Veronika Fischer: Ich glaube nicht, dass es ein Dilemma sein muss. die 1er sind wohl Leute, die mit einem anderen Job genügend Geld zum Leben verdienen - und sich deshalb erlauben können, soviel (und in der Art und Weise) "Tango zu arbeiten", wie es ihnen in den Kram passt. Die 2 - nun ja, reich sicher nicht, aber solange es nicht zu viele gibt, wird man irgendwie über die Runden kommen. 3 finde ich - re: Besteuerung - einfach unredlich, (vielleicht fragen Schüler auch einmal nach einer Rechnung?) ansonsten ist gegen "ich mach soviel ich Lust habe und das zu Höchstpreisen" ja nichts zu sagen, solange es Leute gibt, die bereit sind, diese zu zahlen.

Cassiel: Hmmm... ich sehe da noch irgendwie kein Licht am Ende des Tunnels.
Für mich überwiegt eigentlich die Ratlosigkeit... das war schon im Interview mit Christian so.
Teilst Du seine Idee vom Fund Raising?

Veronika Fischer: Ich finde sie interessant - aber ich weiß nicht, ob sie durchführbar ist. Um diese Gelder streiten sich gemeinnützige Vereine, etablierte Kultur-Organisationen und jetzt auch noch Tango-Tätige - mehr Geld ist aber nicht da (und das Vorhandene wird durch die wirtschaftliche und staatliche Finanzsituation sicherlich in den nächsten Jahren nicht mehr, eher weniger). Ich meine eher, dass halt die Preise im Tango anziehen müssen, um die Tango-Tätigen fair zu entlohnen - im Salsa, z.B., geht das ja auch und wird von den Konsumenten so getragen

Cassiel: Können wir das Thema dann so beenden?

Veronika Fischer: Ja, würd ich sagen. Leider habe ich auch keine Lösung im Ärmel...

Cassiel: OK ;-)


Hier steht der zweite Teil des Interviews

6 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

BAT (bar auf Tatze) - die Formulierung finde ich ziemlich gut (:

Grundsätzlich ärgere ich mich manchmal, dass ich zahle und zahle... eine Privatstunde für 25€ - ich unterrichte an der VHS und bekomme dort nur unwesentlich mehr. Nach Versteuerung bleibt mir weniger als das was die örtlichen Tangolehrer haben.

Monika hat gesagt…

@ Veronika:
Ein Detail ist mir aufgefallen beim Lesen des Interviews und Stöbern auf deiner HP:

Auf Deiner Homepage schreibst Du im (übrigens sehr guten, auch wenn ich nicht in allen Punkte übereinstimme) DJ-Guide http://www.la-potranca.com/djing-und-musik/dj-guide/index.php:

"(...) Stilrichtungen für eine normale Milonga, falls nicht abweichend mit dem Veranstalter besprochen (quer durch die Genres): 60-70% klassischer Tango 15-20% non-tangos: klassische Musik, Jazz, Latin, gelegentlich Rock und Pop, 10-15% electrotango (...)"

Im Interview dagegen definierst Du die ideale Milonga so:

"(...) Aus meiner Sicht: 50% alternativ (electro und non-tango), 30% moderne orquestas, 20% traditionell ist der ideale Abend, aber das hängt natürlich wieder von den Tänzern (und dem Veranstalter) ab. (...)"

Das widerspricht sich in meinen Augen ziemlich eklatant, kannst Du dazu etwas erläutern?

Anonym hat gesagt…

@ veronika:

schade, dass du dich der diskussion zu deinen ansichten hier nicht stellst. meist wird bei cassiel respektvoll und fair miteinander umgegangen und sachlich konstruktiv argumentiert. was steckt hinter deinem schweigen?

zur diskussion steht im moment eine sachliche frage zu widersprüchlichen aussagen von dir zu einem wichtigen thema. von dir stehen zwei aussagen im digitalen raum, die sich heftig widersprechen. daher bist du als t-jane nicht einzuordnen. also stellen sich eine ganze Reihe von fragen und je länger du schweigst, desto mehr fragen tauchen auf:

ist dir das thema egal? hast gar keine meinung dazu? aber warum hast du dann überhaupt was dazu gesagt?

hast du deine meinung inzwischen geändert? das wäre eine heftige kehrtwendung, die einer erklärung bedarf, damit man deinen weg nachvollziehen kann. aber warum klärst du die situation dann nicht?

Ist dir egal, wie tänzer dich sehen? willst du grundsätzlich keine stellung beziehen? aber warum hast du dann dieses interview gegeben?

warum bekennst du nicht farbe? weisst du womöglich gar nicht, wovon du sprichst? eine bessere erklärung habe ich nicht, solange du schweigst.

cassiel hat gesagt…

Ich bin da jetzt ein wenig unsicher...

Ich möchte noch einmal ein Plädoyer für den rücksichtsvollen Umgang miteinander (ganz allgemein gesprochen) loswerden. Gerade online wirkt es manchmal sehr schnell fordernd.

Möglicherweise ist Veronika gerade verhindert bzw. indisponiert. Ich denke, sie wird dann noch hier schreiben.

Vielleicht hat sich ihr musikalisches Verständnis gewandelt und sie hat es noch nicht online publiziert [es muss ja nicht jeder/jede von meiner verbalen Diarrhoe ;-) befallen sein]...

Monika hat gesagt…

bitte, ich wollte und will Veronika nicht angreifen, mich macht einfach diese Dikrepanz stutzig und ich würde gern mehr darüber wissen.

Menschen haben das Recht ihre Meinung zu ändern oder auch mal ´ne Kehrtwendung zu vollziehen. Und dass eine Website dann etwas hinterherhinkt kenne ich aus eigener Erfahrung.

Auch dass man indifferent ist und sich noch nicht wirklich im Klaren wohin der Weg denn nun gehn soll ist für mich durchaus nachvollziehbar, aus sehr eigeneer Erfahrung, nicht nur mit dem Tango.

Dass jemand grad garkeine Zeit hat ist auch nachvollziehbar, aber nicht mal ein kurzes ´hab´ keine Zeit, melde mich in einer Woche´ macht mich doch ein bissl nachdenklich, weil so ein Interview gibt man doch - auch wenn allenfalls kurzfristig anberaumt - mit dem Wissen und Hoffen dass da Reaktionen kommen.

und den höflichen und konstruktiven Ton hier im Blog schätze ich sehr und hoffe nicht dagegen verstossen zu haben.

Anonym hat gesagt…

@veronika

Ich glaube, dass Veronika sich sehr unsicher ist, und noch nicht ihren richtigen Stil gefunden hat. Das muss man doch einfach respektieren!